„Is @kendalljenner a doggo?“ Diese Frage stellte Graffiti-Künstler Lushux auf seinem Instagram-Account und postete dazu sein frisch gesprühtes Werk direkt vor dem Wiener Museumsquartier im September 2017. Unverkennbar: der parodistische Zugang zum Snapchat-Hype unserer Zeit. Auch für Conchita Wurst, die Kendall auf der Wall mit würdevollem Blick Gesellschaft leistet, hat sich der Australier eine nette Botschaft einfallen lassen: „Help get @conchitawurst down to @mqwien to take a selfie with this wall by tagging her in.“
Missionen wie diese, gibt es immer wieder. Wer Lushux dabei unterstützen möchte, kann das jederzeit über seinen Instagram-Account tun.
Ob die Wurst den eingeforderten Selfie lieferte?
Keine Ahnung – gehört habe ich davon nichts. Der Dritte auf der MQ-Wall hat sich allerdings nicht lange bitten lassen. Dabei handelt es sich um den schwedischen Youtube-Star Felix Kjellberg alias PewDiePie, der mit über 53 Millionen Abonnenten eine Reichweite erzielt, von der viele Werbetreibende nur träumen können. Ihn fragte Lushux einfach via Social Media, ob er nicht einen Selfie für ihn hätte, den er im Wiener Museumsquartier auf eine Wall sprühen könnte. Die Antwort kam prompt und wurde wenig später Teil des Gesamtkunstwerkes. Ein schönes Beispiel dafür, wie Storytelling im Jahr 2017 funktionieren kann.
Dass ich nicht gerade zur Kernzielgruppe von PewDiePie zähle, dürfte wohl jedem klar sein und wenn Kendall Jenner in ihrem Lieblingssupermarkt einkaufen und auf Instagram werbewirksam zeigen würde, was es dort Tolles zu kaufen gibt, interessiert es mich ungefähr genauso, als wenn in China ein Rad umfällt. Aber hey, darum geht es hier nicht.
Künstler, Social Media und Influencer Marketing
Wie viele andere Menschen auch, lebe ich im wunderschönen Wien, gehe mit offenen Augen durch die Strassen und wenn plötzlich mitten im Siebten ein Typ mit Spraydose werkt, die ganze Show mit Trashmetall-Klängen begleitet wird und dabei bunte Bilder entstehen, finde ich das ziemlich cool, genauso wie das Marketing-Konzept, dass dahinter steckt, wobei wir wieder bei Kendall Jenners Supermarkt Post wären: Millionen Teenies scheinen nur auf banale Infos wie diese zu warten und sollte tatsächlich ein Supermarkt in einem Jenner-Post erwähnt werden, gilt das als Empfehlung vom Feinsten (die sich das geschäftstüchtige IT-Girl mit Sicherheit auch gut bezahlen lassen würde).
Es geht hier um Teenie-Idole und Dank Instagram, Snapchat und Co fühlt sich jeder Fan, als wäre er mit seinem Star „persönlich befreundet“. In dieser Zielgruppe wird alles Mögliche gelikt (oder gehatet), kommentiert und geteilt. So steigen die Reichweiten von IT-Girls und Boys teilweise ins Unermessliche und Werbetreibende winken mit hohen Gagen, um Teil des Insta-Fames werden zu dürfen.
Synergien zwischen virtuellen und realen Lebenswelten
Wenn Street-Art-Künstler wie Lushux Menschen mit hohen Reichweiten im öffentlichen Raum porträtieren und die Bilder samt Entstehungsprozess dann in den sozialen Medien gestreut werden, erreicht er damit ebenfalls eine weit größere Aufmerksamkeit, als wenn er einen „no name“ auf irgendeiner Hausmauer verewigt und dann wartet, bis von alleine etwas passiert. Die Fans der portraitieren Personen und seine eigenen werden zu Multiplikatoren, die Aufmerksamkeit steigt.
Und weil ein reines „everybody´s darling“-Prinzip die meisten Leute auf Dauer langweilen würde, werden Skandale und Provokationen ebenso Medien wirksam inszeniert, wie die netten Stories von nebenan. Auch Lushux ist ein Meister solcher Inszenierungen.
Der Graffiti-Künstler und seine Hillary
Als Hillary Clinton während des US- Wahlkampfes 2016 plötzlich von einer riesigen Hausmauer in einem Vorort von Melbourne lachte und dabei nur einen knappen Monokini im Design der amerikanischen Flagge trug, war die Aufregung vorprogrammiert. Das Medienecho war enorm und zwar ON- und OFFline. Kritiker verlangten die Entfernung des Murals, denn es würde eine „fast nackte Frau“ zeigen und sei respektlos gegenüber der damaligen Präsidentschaftskandidaten. Als Antwort darauf, verwandelte Lushux Antwort die Clinton in eine Muslime und schrieb folgenden Text dazu:
„This is no longer a wall of a supposed „offensive and near naked“ Hillary Clinton, it is now a depiction of a beautiful Muslim woman. No reasonable person would consider this offensive. If you do consider it offensive you are a sexist, racist, islamophobic, xenophobic, uncultured and ignorant bigot.“ Hier geht´s zum dazu gehörigen Instagram Post
Das kann man jetzt gut finden oder auch nicht, genauso wie zahlreiche andere Projekte.
Kunst ist eben kontrovers und Aktionen wie diese zeigen, was Social Media und klassische Medien in Kombination bewirken können. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass über aktuelle Themen und Kunstprojekte weitläufig diskutiert wird und dass ewig ungeklärte Fragen immer wieder neu aufgegriffen werden, wie etwa WAS ist Kunst, WAS darf sie und WO liegen die Grenzen?
Link Tipps: