Physical distancing. Tag XY Mittwoch, 22. April 2020 in Wien. Dieser Artikel spiegelt ausschließlich die persönlichen Eindrücke der Autorin wider.
Beim Wort entrisch zuckte ich innerlich zusammen.
Für meine Mutter ist der seltene Weg zum Supermarkt wichtig, um endlich wieder einmal frische Luft zu tanken, und „natürlich will man hin und wieder echte Menschen sehen“, sagt sie, „auch wenn wir einen riesigen Bogen umeinander machen.“
Ist das diese neue Normalität, von der jetzt alle reden?
Sicher nicht. Meine Mum ist ein kommunikativer Mensch und war selbst viele Jahre im Handel beschäftigt. Uns ist beiden klar, dass physische Distanz in Geschäften nicht immer einzuhalten ist, zumindest nicht in der Form, wie es laut Regierung sicher wäre. Wie soll schließlich in einem Gang, der nur 1, 5 Meter breit ist, mindestens ein Meter Abstand gehalten werden, wenn es kein Einbahnsystem gibt. Außerdem denkt man nicht jede Sekunde daran, weil es eben nicht „normal“ ist.
Von klein auf haben wir gelernt, dass man andere Menschen nicht ausgrenzt und stets hilfsbereit und freundlich sein soll. Wenn jemand vor einem Regal steht und nicht zum Zucker kommt, greifen die meisten Leute selbstverständlich hin, um zu helfen. Heute ist das freilich anders.
Statt zu helfen, starren wir zu Boden.
- Vielleicht würden dann mehr Menschen aus Überzeugung handeln und weniger deshalb, weil es jemand vorgibt.
- Vielleicht müsste man dann nicht mehr von oben herab an den Hausverstand der Nation appellieren, sondern könnte den Menschen mehr auf Augenhöhe begegnen.
- Vielleicht würden wir uns dann auch weniger schuldig fühlen, wenn wir uns versehentlich einmal näher kommen, als erlaubt.
Es ist nämlich keine Schuldfrage und auch nicht immer eine Frage von mangelndem Hausverstand.
Manchmal schon, aber eben nicht immer. Wir haben diese Art von Abstand einfach nicht gelernt und müssen uns jetzt um-trainieren. Mit Sicherheit würde das besser funktionieren, wenn man den Sinn hinter diversen Maßnahmen durch Expertenmeinungen, neue Erkenntnisse (und wenn vorhanden durch Studien) besser untermauern würde, anstelle den Leuten unterschwellig zu suggerieren, man hätte keinen Hausverstand, wenn man nicht ohne zu murren folgen würde. Das weckt nämlich in vielen von uns das Gefühl, dass wir kleine Kinder sind, die gefälligst das zu tun haben, was die Obrigkeit sagt. Übrigens ist hier nicht Gesundheitsminister Rudi Anschober gemeint, dessen Empathie, Authentizität und Ruhe ich persönlich sehr schätze.
Gleiches gilt für das Tragen von Masken.
Lacht uns da jemand an oder zieht die Person die Mundwinkel nach unten? Das alles und noch mehr verrät uns normalerweise die Mimik. So konnten wir bis vor kurzem noch erkennen, wie uns das Gegenüber gesinnt war. Jetzt fällt das weg. Hinzu kommt, dass verhüllte Gesichter in der Vergangenheit immer wieder negativ behaftet wurden – in Filmen, Geschichten und im echten Leben. Oft verbarg sich etwas Unheimliches oder gar Bedrohliches dahinter. Denken wir nur an die typischen Bilder von Internet-Hackern, Bankräubern oder Terroristen. Das alles muss jetzt aus unseren Köpfen wieder raus, und zwar schnell.
- Fragen und Antworten zu Mund, -und Nasenschutz findet ihr auf der Webseite
sozialministerium.at